Wer ist eine Schauspielerin, wenn sie nicht spielt?
So oft bin ich durch die Straßen Berlins gelaufen
und habe mir die Frage gestellt
Fast tagtäglich
Was aus meinem Körper wird, wenn er nicht mehr auf der Bühne spielt?
Und aus meiner Stimme?
Was soll überhaupt aus mir werden?
Wie ein Gespenst irrte ich unsichtbar in der Stadt herum
Ein armseliges verlorenes Gespenst
Mutterseelenallein
Stumm wie ein Fisch
Inhalt
Eine aus dem Iran geflüchtete Schauspielerin in Deutschland. Sie stand schon mit siebzehn auf der Bühne, hatte über zwanzig Jahre eine erfolgreiche Karriere, wurde in ihrem Land bekannt und war beliebt, besonders durch eine Fernsehserie. Aus politischen Gründen wurde sie jedoch in den letzten Jahren ständig von Behörden unter Druck gesetzt und durfte ihren Beruf nur unter schweren Einschränkungen und ständiger Überwachung ausüben. Schließlich bekam sie Arbeitsverbot, entschloss sich zur Flucht, verließ ihr Land und ihre Familie. Ankunft in Deutschland. Fremdes Land. Fremde Sprache. Sie beantragt Asyl. Unklare Zukunft, materielle Unsicherheit, Einsamkeit. Wird sie überhaupt hier bleiben dürfen? Wird sie jemals wieder auf einer Bühne spielen? Wird sie zu der deutschen Sprache eine emotionale Verbindung finden können? Ihr Asylantrag wird abgelehnt. Sie reicht Klage ein.
Warten. Monatelang. Durch die Straßen gehen, die Sprache lernen, die Leute beobachten. Nie war sie der Bühne so lange fern geblieben. Nie hatte sie so lange in einem anderen Land gelebt. Alte Erinnerungen kommen hoch. Alpträume wiederholen sich. Was ist eine Schauspielerin, wenn sie nicht mehr spielt? Wer ist sie? Wie verändert sich in dieser leeren „stillen“ Zeit ihre Verbindung zu ihrem Beruf, zu der Sprache, zum Leben, zu sich selbst?
Ein Theaterabend mit der renommierten iranischen Schauspielerin Nazafarin Kazemi, die 2019 aus ihrem Land flüchtete, nachdem sie dort Arbeitsverbot bekam. Ich höre euren Atem ist kein biographisches Stück über die Hauptdarstellerin. Es handelt sich um einen frei geschrieben Text nach wahren Erlebnissen und Begebenheiten, inspiriert von der Geschichte einer geflüchteten Schauspielerin.
Kritik
"Der franco-iranische Autor und Regisseur Pedro Kadivar zeigt, dass das Bedürfnis nach Ausdruck universell ist. In bestechend einfachen, dabei hoch verdichteten Szenen leuchtet er existenzielle Erfahrungen aus. Und er hat die Hauptrolle seines Einpersonenstücks mit der in Teheran geborenen Theater-und Filmschauspielerin Nazafarin Kazemi wunderbar besetzt. Auf der Bühne wie im wahren Leben kämpft sie um politisches Asyl und darum, ihren Beruf weiter ausüben zu können und zu dürfen.
(...)
Wer, in dieser Welt, sucht und braucht nicht Zuflucht? Kadivar, pathosresistent, hat ein untrügliches Gespür für menschliche Nöte und Grenzsituationen.
„Ich höre Euren Atem“ ist ein streng komponiertes, von Thomas Gerwin mit stimmungsvollen Klangkompositionen unterlegtes Stück, das fluide zwischen Szenen, die auf das innere Erleben zentriert sind u nd solchen, die die Mühlen der Bürokratie veranschaulichen, changiert. 90 Minuten, in dem ein die Unsichtbarkeit fürchtender Mensch ins Helle tritt, ins Zwielicht und ins Dunkel. Was bleibt, sind Stimme und Atem."
Sigrid Brinkmann
Inhalt
Ein Stück über Flucht als Notwendigkeit und Überlebenskunst. Über eine Minderheit unter den Geflüchteten und über die Wahrnehmung Europas durch von Fern geflohene Augen und Ohren.
Das Stück basiert auf einer Reihe von Interviews mit LGBTI*-Geflüchteten in Berlin und ist durch die gemeinsame Arbeit mit den Schauspielern entstanden. Es geht um Fluchtgeschichten nach Europa, von der Ankunft in Deutschland, sowie von dem Asylantrag und den ersten Erlebnissen im Flüchtlingsheim. Die Spezifität der LGBTI*-Geflüchteten und ihre besonderen Schwierigkeiten im Asylprozess stehen dabei im Fokus.
Autor und Theaterregisseur Pedro Kadivar (Kleines Buch der Migrationen, Unendlich ist die Nacht) erforscht Ausdrucksweisen, die es ermöglichen, über Zugehörigkeiten zu sprechen und Themen wie Teilhabe und Selbstbehauptung in den Blick zu nehmen.
Das Stück "Kunst der Flucht" wurde im Berliner Gorki Theater uraufgeführt und im Theater Erfurt 2021 wieder aufgenommen.